Nutzung: An den Grenzen von Grüner Revolution und Bioökonomie
Dieser Artikel, verfasst von Christine Chemnitz, ist im Bodenatlas 2015 erschienen. Die Herausgeber des Bodenatlas 2015 sind die Heinrich Böll Stiftung und das IASS Potsdam.
Seit Jahrhunderten werden die Landflächen der Erde von Menschen genutzt und geprägt: um Nahrungsmittel anzubauen, Tiere weiden zu lassen, Städte und Straßen zu bauen, Bodenschätze zu fördern, um Forstwirtschaft zu betreiben, spirituelle Werte auszudrücken oder die Freizeit zu verbringen.
Das Land und seine Nutzung hat die Geschichte, Politik und Kultur der Völker geprägt. In vielen Ländern des Westens ist der individuelle Besitz von Land mit traditionellen Werten und gesellschaftlichem Status verbunden. So wurde landwirtschaftliches Eigentum möglichst über Generationen innerhalb von Familien weitergegeben. In sozialistischen Regimen war die Verstaatlichung von Land ein politisches und strategisches Machtmittel. Es fand seinen grausamen Höhepunkt in der Sowjetunion unter Stalin mit der Enteignung und Vertreibung von Millionen Bauern, die zur Hungerkatastrophe von 1933/34 führte. Die Folgen der Zwangskollektivierung prägen bis heute die landwirtschaftliche Struktur vieler mittel- und osteuropäischer Länder.
Landflächen sind begrenzt. Noch im 20. Jahrhundert dienten Kriege und koloniale Unterdrückung dazu, die Territorien der Nationalstaaten auszuweiten. Doch mit zunehmender Liberalisierung und Globalisierung des Agrarhandels seit den 1980er Jahren begannen die nationalen Knappheiten von Land zu verschwimmen, denn es schlug die Stunde der großen Agrar-Handelsunternehmen. Mit weltweiten Niederlassungen und der Transportlogistik für viele Millionen Tonnen Fracht bewegen seither die großen vier – Bunge, Cargill, Louis Dreyfus und ADM – die landwirtschaftlichen bulk products, Massenprodukte, aus den Ursprungsländern hin zu den Zentren der Verarbeitung und des Konsums. Nationale Landknappheit wird auf diese Weise ausgelagert: Man kauft sich jenseits der Grenzen die Flächen, die man braucht, gleichgültig welche Veränderungen die Nachfrage dort auslöst. Land, eigentlich immobil, ist zum flexiblen Produktionsfaktor geworden.
Bereits in den 1960ern hatte die „Grüne Revolution“ begonnen. Eine intensive Landnutzung mit Hochertragssorten, Düngemittel- und Pestizideinsatz sowie künstlicher Bewässerung erhöhte den Ertrag pro Fläche. Der Einsatz fossiler Energie kompensierte den Mangel an Land. Kaum beachtet wurden die Grenzen, an die diese Form der nicht nachhaltigen Landwirtschaft stieß. Das änderte sich erst zur Jahrtausendwende, als die ökologischen Schäden dieser industriellen Landwirtschaft in allen Teilen der Welt deutlich wurden.
Inzwischen offenbart sich erneut, wie begrenzt Land ist – jetzt global. Die Nachfrage wächst überall: nach Nahrung, nach Futtermitteln, nach Agrartreibstoffen und nach Biomasse für chemische Produkte und Textilien.
Die Nutzer des Landes konkurrieren zunehmend miteinander. Während Städte heute nur 1 bis 2 Prozent der Erdoberfläche in Anspruch nehmen, werden sie 2050 etwa 4 bis 5 Prozent belegen, eine Steigerung von 250 auf 420 Millionen Hektar. Agrarflächen müssen weichen; ihr Verlust wird durch Urbarmachung kompensiert, indem Wälder und Steppen gerodet werden. Von 1961 bis 2007 weiteten sich die Ackerflächen der Welt um rund 11 Prozent oder 150 Millionen Hektar aus. Wüchse die heutige Nachfrage nach Agrarprodukten unverändert weiter, müsste bis 2050 eine zusätzliche Agrarfläche irgendwo zwischen 320 und 850 Millionen Hektar erschlossen werden. Der niedrigere Wert entspricht der Größe Indiens, der höhere derjenigen Brasiliens.
Mit der steigenden Nachfrage verschärfen sich die Spannungen zwischen verschiedenen Nutzergruppen. Land ist für Investoren ein attraktives ökonomisches Gut, ein zunehmend knappes mit guter Rendite. Land wird aber auch von den weltweit mehr als 500 Millionen Kleinbauern, Pastoralisten und indigenen Bevölkerungsgruppen gebraucht, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Zudem hat es einen identitätsstiftenden, kulturellen und teilweise spirituellen Wert. Gerade in Staaten ohne öffentliche Sicherungssysteme, in denen der Zugang zu Land elementar ist, werden die individuellen oder gemeinschaftlichen Nutzungsrechte aber immer wieder bedroht.
Nicht nur, dass sich die Konkurrenz zwischen den Gruppen verschärft; auch die negativen Auswirkungen auf die Ökosysteme nehmen zu. Der Mensch achtet bei der Nutzung des Landes kaum darauf, ob die Qualität, die Vielfalt und die Fruchtbarkeit einer Landschaft erhalten bleibt. Je intensiver aber die landwirtschaftliche Beanspruchung, desto negativer die ökologischen Folgen, vor allem der Verlust der über- und unterirdischen biologischen Vielfalt. Jedes Jahr werden etwa 13 Millionen Hektar Wald gerodet; von den Primärwäldern der Welt sind seit 2000 fast 40 Millionen Hektar verschwunden. Fruchtbare Böden gehen verloren, Wüsten breiten sich aus, und klimaschädliche Gase, die über Jahrtausende im Boden gespeichert waren, werden in die Atmosphäre entlassen.
All diesen Entwicklungen zum Trotz propagieren heute viele Regierungen der Industrieländer neue Wachstumspotenziale unter dem Stichwort „Bioökonomie“. Dabei sollen nachwachsende Rohstoffe die fossilen Energieträger ersetzen. Das ist die Umkehr der „Grünen Revolution“: landintensive Produkte sollen nun Erdöl ersetzen. Diese Wachstumsstrategie würde alle Gerechtigkeits-, Biodiversitäts- und Klimaziele zunichte machen, auf die sich die Regierungen in den letzten Jahrzehnten verständigt haben. Nach einem Bericht der UN-Entwicklungsorganisation UNDP ist – bei unverändert zunehmender Nutzung des Landes – schon 2020 die Grenze einer ökologisch tragfähigen Beanspruchung erreicht. Der globale Landverbrauch vor allem durch EU und USA wird nicht mehr viel weiter zunehmen können. Bei 1,4 Milliarden Hektar globaler Ackerfläche muss jeder Mensch mit 2.000 Quadratmetern auskommen, von deren Ertrag er sich ernähren muss.
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