Untergrund: Das unsichtbare Ökosystem
Dieser Artikel, verfasst von Knut Ehlers, ist im Bodenatlas 2015 erschienen. Die Herausgeber des Bodenatlas 2015 sind die Heinrich Böll Stiftung und das IASS Potsdam.
Wie fruchtbar Böden sind, wird von vielen Faktoren bestimmt: vom Alter, vom Ausgangsgestein, vom Humusgehalt, von den Klimaverhältnissen und den Menschen.
Mindestens Jahrhunderte, eher Jahrtausende und Jahrmillionen vergehen, bis das entstanden ist, was wir Boden nennen. So viel Zeit wird gebraucht, damit Gestein an der Erdoberfläche verwittert und eine mehrere Meter mächtige Schicht bildet. Sie besteht etwa zur Hälfte aus mineralischen Partikeln wie Sand und Ton, zu jeweils grob 20 Prozent aus Luft und Wasser und zu etwa 5 bis 10 Prozent aus Pflanzenwurzeln, Lebewesen und Humus, der den Lebensraum und die Nahrungsquelle für weitere Organismen darstellt.
Der Humus verleiht dem Boden nahe der Oberfläche eine dunkle, braunschwarze Farbe. Dieser Oberboden wimmelt von Leben: Neben Regenwürmern, Asseln, Spinnen, Milben und Springschwänzen leben in einer Hand voll Boden mehr Mikroorganismen (etwa Bakterien, Pilze oder Amöben) als Menschen auf der Erde. Diese Lebewesen zersetzen abgestorbene Pflanzenteile, bauen sie in Humus um und verteilen diese fruchtbare Substanz im Boden. Humus speichert Nährstoffe und Wasser und sorgt dafür, dass der Boden eine stabile Struktur mit vielen Poren erhält. Zudem enthält er viel Kohlenstoff, der ursprünglich von Pflanzen im Form des Klimagases CO2 aus der Luft aufgenommen wurde. Der Boden ist einer der bedeutendsten Kohlenstoffspeicher überhaupt: Er bindet mit etwa 1.500 Milliarden Tonnen allein im Humus fast dreimal mehr Kohlenstoff als die gesamte lebende Biomasse, also alle Lebewesen inklusive Bäumen, Sträuchern und Gräsern.
Beim Boden ist es wie beim Käse: Das beinahe Wichtigste sind die Löcher. Die Poren des Bodens, also die Hohlräume zwischen den festen Bestandteilen wie Mineralien und Humuspartikeln, sorgen dafür, dass der Boden durchlüftet und so die Pflanzenwurzeln und Bodenlebewesen ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Wasser wird durch Adhäsions- und Kapillarkräfte gegen die Schwerkraft gehalten – ein Boden kann bis zu 200 Liter pro Kubikmeter speichern und Pflanzen auch dann noch mit Flüssigkeit versorgen, wenn es länger nicht mehr geregnet hat. Das Porenvolumen eines Bodens ist abhängig von der Größe der mineralischen Bodenpartikel, dem Humusgehalt und der Durchwurzelung sowie der Aktivität der Bodenlebewesen.
Insbesondere Regenwürmer haben hier eine wichtige Funktion, denn ihre Gänge sind wichtige Wasserleitbahnen, die bei starken Niederschlägen die Aufgabe haben, das Wasser von der Oberfläche in den Unterboden zu transportieren. Dieser enthält weniger Humus und Lebewesen als der Oberboden und ist heller, durch unterschiedliche Eisenverbindungen häufig gelblich-ockerfarben oder auch rötlich. Ein tiefgründiger, gut durchwurzelbarer Unterboden spielt für die Bodenfruchtbarkeit eine große Rolle. Die Pflanze kann sich über ihre Wurzeln auch dann noch mit Wasser versorgen, wenn der Oberboden bereits trocken ist.
Die geografische Lage ist häufig entscheidend dafür, über welchen Zeitraum die Böden entstanden sind. In Mitteleuropa kamen zum Beispiel in den Eiszeiten immer wieder Gletschermassen dazwischen. Sie machten Tabula rasa, indem sie neue Sedimente ablagerten und bereits entstandene Böden umwühlten. Die typischen braunen Böden in Mitteleuropa sind daher mit etwa 10.000 Jahren im internationalen Vergleich recht jung und wenig verwittert. Häufig enthalten sie noch viele Minerale, aus denen sich Pflanzennährstoffe wie Kalium und Phosphor langsam herauslösen. Die typischen roten Böden der Tropen hatten dagegen Millionen Jahre Zeit für die Verwitterung, mit der die Mineralien aufgelöst, umgebildet und teilweise ausgewaschen wurden. Der freigesetzte Phosphor wurde dabei von ebenfalls frei gewordenen Eisen- und Aluminiumoxiden fest gebunden, sodass die Pflanzenwurzeln ihn nun kaum mehr aufnehmen können. Diese Böden sind daher nährstoffarm. Die Nährstoffe für die reiche Vegetation sind statt im Boden in den lebenden Pflanzen gespeichert, denn abgestorbene Pflanzenteile werden sehr schnell zersetzt und die freigewordenen Nährstoffe sofort wieder aufgenommen.
Welche Eigenschaften sie herausbilden, ist maßgeblich abhängig von dem Ausgangsgestein. Ist es quarzreich, entstehen leichte, eher grobkörnige und sandige Böden, die gut durchlüftet sind, aber nur wenig Wasser und Nährstoffe speichern können. Ist das Ausgangsgestein dagegen reich an Feldspat, entsteht aus den immer feiner werdenden Partikeln ein schwerer, tonreicher Boden, der viel Nährstoffe und Wasser speichert, aber schlechter durchlüftet ist. Auch ist das Wasser hier so stark im Boden gebunden, dass die Pflanzenwurzeln es nur zum Teil nutzen können. Optimal für die Landwirtschaft sind daher weder die sandigen leichten noch die tonreichen schweren Böden, sondern solche, die lehmig und reich an Schluff sind. Schluffpartikel sind kleiner als Sand und größer als Ton. Sie verbinden die Vorteile von beiden: gute Durchlüftung und gutes Wasser- und Nährstoffspeichervermögen.
Besonders fruchtbare Böden sind interessante Ackerflächen; eingeschränkt fruchtbare Böden eignen sich noch für die Wiesen- und Weidennutzung oder als Waldfläche. Auch weniger fruchtbare Böden können wertvoll sein, etwa als Lebensräume seltener Arten. Moorböden wiederum sind für eine intensive landwirtschaftliche Nutzung zu feucht, speichern aber besonders viel Kohlenstoff.
Wenn der Boden falsch und zu intensiv genutzt wird, verliert er seine Funktionsfähigkeit und degradiert. Schätzungsweise 20 bis 25 Prozent aller Böden weltweit sind bereits davon betroffen, und jedes Jahr verschlechtern sich weitere 5 bis 10 Millionen Hektar. Das entspricht in der Größenordnung der Fläche Österreichs (8,4 Millionen Hektar). Dabei gibt es durchaus Böden, etwa im Auenbereich von Euphrat und Tigris oder im Hochland von Neuguinea, die seit 7.000 Jahren unter ganz unterschiedlichen Bedingungen genutzt werden – und nach wie vor fruchtbar sind.
Mehr zum Bodenatlas auf www.globalsoilweek.org/soilatlas-2015.